Goldschmidt, Selma geb. Hony

Nachname: Goldschmidt

Vorname: Selma

Geburtsname: Hony

Geburtstag: 22.12.1876

Geburtsort: Hilchenbach

Wohnort(e): Hilchenbach; Emil-Wolff-Straße 9, Berleburg (heute Bad Berleburg)

Beruf/Erwerbstätigkeit: Hausfrau

Religion: jüdisch

Deportationsdatum: 27.7.1942

Haftort(e): KZ Theresienstadt

Todestag: 16.1.1943

Todesort: KZ Theresienstadt

Biografie: Zu den etwa 40 jüdischen Berleburgern (1933) gehörte die Familie Goldschmidt: der Metzgermeister Julius Goldschmidt, die Hausfrau Selma Goldschmidt, die aus einer Siegerländer Metzgerfamilie kam, und deren sieben Kinder. Ihre Vorfahren lebten z. T. seit mindestens der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Region. Zwei unverheiratete Kinder – Gertrude und Herbert - lebten 1938 noch bei den Eltern.
Über die Lebenssituation der Familie in den ersten Jahren des Nationalsozialismus ist wenig bekannt. Ein Ereignis im Jahre 1935 aber zeigt an, wie sich in kurzer Frist das Klima in der Kleinstadt veränderte.
1935 erschien in der örtlichen Zeitung ein ausführlicher Bericht über einen bereits länger zurückliegenden geringfügigen Verkehrsunfall, den, wie es hieß, Herbert Goldschmidt verursacht habe. Sein Motorrad war mit einem Fahrrad mit „deutscher“ Fahrerin kollidiert. Das Rad war beschädigt worden. Der maßlos aufgebauschte Vorfall war Anlass für einen hemmungslosen Angriff auf die jüdische Minderheit insgesamt, gespickt mit zahlreichen der inzwischen offenbar üblichen Invektiven. Der „Judenlümmel“, „Judenbengel“, „Sohn Israels“, „freche Jude“ sei „im Besitze aller unangenehmen Eigenschaften seiner Rasse“. Dazu gehörten „Rücksichtslosigkeit“, „Skrupellosigkeit“, „Rohheit“ und als Haltung gegenüber Andersgläubigen, sie „als ein Stück Vieh zu behandeln“. Das Fazit der Zeitung wies in die Richtung der kommenden Entwicklung. „Ein Jude, der sich im Deutschen Reich nicht den Ordnungen des öffentlichen Lebens fügen will, verdient aber auch nicht annähernd die Rücksicht, die man sonst deutschstämmigen Uebertretern unter Umständen zuzubilligen in der Lage wäre.“ Es könne „hier keinerlei Rücksichten geben.“ Dem Fahrer wurde der Führerschein entzogen, das Fahrzeug beschlagnahmt.
Julius Goldschmidt hatte aus unbekannten Gründen in seinem Beruf spätestens 1937 nicht mehr arbeiten können oder dürfen. Mit fast 70 Jahren war er als Handlanger tätig. Die Familie hatte seit Mitte 1937 die Metzgerei mit Wohnräumen und Garten an die Familie August Afflerbach verpachtet. Von dort kam scharfer Druck, Pacht und Miete drastisch zu senken. Goldschmidt lehnte ab: „Ich muß mich in einer Weise einschränken, wie Sie sie nicht kennen.“ Dann gab er nach. Inzwischen bewohnten die Goldschmidts in ihrem Haus nur noch ein Zimmer, alles andere war an die Afflerbachs gegangen.
Nach dem November-Pogrom hatten die Goldschmidts  einen Beitrag von 1.800 RM für die „Judenvermögensabgabe“ von einer Milliarde RM zu zahlen, in Raten.
Allgemein ging man davon aus, dass nun ein großer Ausverkauf einsetze. Mitte Januar meldete die Stadtverwaltung bei Goldschmidt ihr Interesse an mehreren landwirtschaftlichen Grundstücken an. Es hatte eine Woche, sich zu entscheiden. Ein weiterer Interessent, der Landwirt Friedrich Bald versuchte, der Stadt zuvorzukommen, was ihm ausweislich des Kaufvertrags mit „Julius Israel Goldschmidt“, wie der Namenszusatz seit 1. Januar 1939 zu lauten hatte, gelang.
Die Afflerbachs wechselten in die Rolle der Eigentümer. „Nach der Entwicklung der Judenfrage in der letzten Zeit kann doch mit Bestimmtheit angenommen werden, daß der Jude jetzt sein Anwesen verkaufen muß.“ Zu seinem Preis, den die Behörden mit der Drohung der „Erzwingung“ unterstützten, mussten die Goldschmidts verkaufen. Der immobile Vermögensrest, ein Acker „Am Alten Galgen“ und ein Garten, dieser „für seinen und seiner Familie Lebensunterhalt dringend erforderlich“, gingen an die Stadt, der Acker als Ausgleichsgrundstück für den, wie es hieß, „sozialen Wohnungsbau“.
Mutter, Vater und die an Epilepsie erkrankten Tochter Ruth Gertrude
(„Trude") Goldschmidt lebten seit 1940 in dem „Judenhaus“ der ins Ausland vertriebenen jüdischen Familien Adolf und Levi Krebs. Nachdem die Immobilien und ihre Kuh weg, die Auswanderung von Herbert 1938 nach Santo Domingo (von dort weiter nach Bogota/Kolumbien) finanziert war, gab es nur noch spärliche Eigentumsreste. Am 27. Juli 1942 wurden die drei nach Theresienstadt deportiert. Zuvor waren sie gezwungen worden, sog. Heimeinkaufsverträge abzuschließen, so dass etwaige noch vorhandene Sparguthaben an das Reich fielen. In drei Koffern und einer Kiste nahmen sie Kleidung, Wäsche, Ess- und sonstiges Geschirr mit nach Theresienstadt. Sie hinterließen u. a. „Metzgerladeneinrichtung u. Kühlraumeinrichtung, Elternschlafzimmer (kompl.), Kinderschlafzimmer (kompl.), Wohnzimmer (kompl.), Kücheneinrichtung (kompl.), Schreibtisch (Eiche), Nähmaschine, Ofen (Dauerbrenner), Brennmaterial (Kohlen u. Holz), Bett u. Leibwäsche“. Das fiel an das Reich und wurde der Volksgemeinschaft zum Kauf angeboten.
Selma verstarb in Theresienstadt Anfang 1943, Trude wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet. Sohn Arthur wurde mit seiner Frau Paula am 28.4.1942 nach Zamosc deportiert und ermordet.
Tochter Else hatte nach Treis a. d. Lumda geheiratet. Sie wurde mit ihrem Mann und der Tochter Alice vermutlich nach Treblinka deportiert und ermordet, während der in die USA geflüchtete Sohn Erich als US-Soldat in der Normandie fiel.
Tochter Margarethe („Grete“ lebte seit 1935 in Amsterdam und war mit verheiratet mit dem Niederländer Pieter Sloert verheiratet. Seit 1938 lebten auch Gretes Schwestern Hildegard („Hilde“) und Alma Amalie („ Mallie“). Sie heirateten mit Lucas Koekoek und Abraham Rozette Niederländer jüdischer Herkunft. Während Grete mit ihrer am 22.3.1943 geborenen Tochter Lucie dank ihres nicht-jüdischen Ehemanns überlebte, wurden Mallie und Abraham, sowie Hilde und Lucas mit ihrem am 11.5.1942 geborenen Sohn Jacobus Julius („Bobby“) am 23.7.1943 über Westerbork nach Sobibor deportiert und ermordet.
Von den sieben Kindern von Selma und Julius Goldschmidt überlebten nur Herbert und Margarethe.
Julius Goldschmidt war der einzige jüdische NS-Überlebende, der nach Berleburg zurückkehrte. Seine Nachbarn und Gesprächspartner war dort ab Anfang Juli 1945 allein zum einen Angehörige der Mehrheitsbevölkerung und zum anderen die Angehörigen der zweiten einem Auslöschungsversuch ausgesetzten, unbeachtlich der Deportation nach Auschwitz nach wie vor stigmatisierten und sozial marginalisierten Minderheit der Berleburger „Zigeuner“. Er zog nun in das von diesen bewohnte Peripherieviertel. Er lebte dort im Haus der Töchter Erna und Martha von Karl Janson („Husarenkarl“). Martha war eine der wenigen Berleburger Auschwitzüberlebenden.
Da das gesamte vormalige Eigentum der Familie Goldschmidt inzwischen neue Besitzer hatte, war Julius Goldschmidt bei seiner Rückkehr völlig mittellos.
Die Bemühungen, über das Rückerstattungsgesetz verlorenes Eigentum zurückzuerhalten waren äußerst mühselig.
Auf Goldschmidts Rückgabeanspruch für den Acker Am Alten Galgen ging die Stadt monatelang erst gar nicht ein, kassierte weiterhin die Pacht und lehnte dann ab. Alles sei rechtmäßig gewesen, er „den Verkaufserlös zur freien Verfügung erhielt und der damalige Kaufpreis als angemessen anzusehen ist.“ Am Ende verglich man sich. Ähnlich August Afflerbach auf die Frage im Entnazifizierungsfragebogen, ob er jemals aus rassischen Gründen entzogenen Besitz erworben habe. Der goldschmidtsche Besitz sei ihm nun einmal „zum Kauf angeboten“ worden. Da habe er gekauft.
Öffentliche Ehrungen werfen ein Schlaglicht auf die mehrheitliche Haltung in der Kleinstadt gegenüber den Handlungsträgern der Verfolgung einerseits und deren Opfern andererseits. Während die privaten und beruflichen Jubiläen des Zahnarztes Dr. Otto Nölke, Altparteigenosse, SS-Mitglied und 1949 wegen seiner Rolle bei der Synagogenbrandstiftung verurteilt, jeweils ausführliche und freundliche bis herzliche Erwähnung in der Lokalpresse fan­den, musste Julius Goldschmidt dafür neunzig werden. In einer 1½ Zeilen-Notiz aus Anlaß seines Geburtstags einige Jahre zuvor hatte man sich erstaunt, daß er so „auf­fallend rüstig“ sei. Als er 1962 starb, war dies keine Meldung wert. Eine Woche nach ihm starb Karl Heinrich Schneider, Parteigenosse und ehemaliger geschäftsführender NS-Bürgermeister, der das Hab und Gut der deportierten Juden und angeblichen Zigeuner persönlich öffentlich versteigert hatte, ein wegen Betei­li­gung an der „Zigeuner“-Deportation verurteilter NS-Täter, erfolgreicher Geschäftsmann und beliebter Vereinsaktivist. Hoch gewürdigt wurde er mit einem umfangreichen, zahlreiche Verdienste aufzählenden Nachruf.

Autor/in der Biografie: Ulrich F. Opfermann, 2015

Quelle(n): GB BA Berlin

Stolperstein Verlegedatum: 2.9.2008

Stolperstein Verlegort: Emil-Wolff-Straße 9, Bad Berleburg

Verwandt:

Goldschmidt, Arthur

Goldschmidt, Herbert

Goldschmidt, Julius

Goldschmidt, Ruth Gertrude ("Trude")

Koekoek, Hildegard ("Hilde") geb. Goldschmidt

Rozette, Alma Amalia ("Mallie") geb. Goldschmidt

Sloert, Margarete ("Grete") geb. Goldschmidt

Goldschmidt, Paula geb. Marcus

Dickhaut, Friederike geb. Goldschmidt

Ziegelstein, Else Emilie geb. Goldschmidt

Bildquelle(n): AMS